Trier - Magdeburg

unsere Beziehungen in den wilden Osten

Wo bitte gehts in den Osten?
Am vergangenen Himmelfahrtswochenende fand bereits zum 13. Mal eine Begegnung zwischen einer Trierer und einer Magdeburger Schwulengruppe statt. Mit bis zu 41 Teilnehmern wurde damit der Austausch zwischen den schwulen Lebensformen und kulturellen Besonderheiten der alten und neuen Bundesländern fortgesetzt. Freundschaften sind seitdem gewachsen, die Kontakte werden auch zwischen den Treffen geflegt, man kriegt mit, welche persönlichen Entwicklungen sich auf der "anderen Seite" ereignen. Und nicht selten werden auch zartere Bande geknüpft.
Martin, Ost mit Jürgen, WestDie Treffen finden im Wechsel statt: in geraden Jahren fahren die Trierer nach Magdeburg (bzw. Niederndodeleben, einem kleinen Ort in der Nähe) in ungeraden kommen die Ossis ins Trierer Land. Viele Städte und Sehenswürdigkeit sind uns inzwischen vertraut geworden. In diesem Jahr waren wir einen ganzen Tag in Leipzig. Magdeburg, Halle, Naumburg und viele andere Orte haben wir in den vergangenen Jahren besucht. Und die im Frühjahr natürlich immer blühenden Landschaften erwanderten wir in zum Teil anspruchsvollen Wanderungen. Insbesondere der Harz, Ursprung und Herz der Naturbegeisterung hierzulande, bietet unvergessliche Natureindrücke. In diesem Jahr machten wir eine Tour durch den Ostharz, und blieben dabei in dem Teil, der auch zu DDR-Zeiten mehr oder weniger frei zugänglich war. Für Martin Pfarr aus Köthen, einer der von Anfang an dabei war, ist dies kein selbstverständliches Detail: Die Grenzüberschreitung in einem Gebiet, zu dem man eine besondere Beziehung hat, begleitet er auch heute noch mit einem Gefühl der Freiheit, was wohl zu sagen erlaubt ist, auch wenn der Begriff der Freiheit politisch arg strazapiert erscheint.
Angefangen hatte alles 1989, noch zu einer Zeit, als ein Besuch sowieso nur von Westlern in den Osten denkbar war. Aber auch dieser musste sorgfältig eingefädelt werden. Der Besuch von DDR-Bürgern in den Westen war - von besonderen künstlerischen, wirtschaftlichen und politischen Reisen abgesehen - nur für Rentner erlaubt. Es waren jeweils Einladungen notwendig, eins zu eins, d.h. für jeden Besucher aus dem Westen musste einer aus der Magdeburger Gruppe schriftlich einladen. Naiv glaubten wir damals, mit der Wahl von verschiedenen Grenzübergängen etwa ein tatsächlich "geheimes" Treffen organisieren zu können. Von heute aus gesehen war dieses Vorhaben lächerlich. Die Schwulengruppe, die unter dem Dach der evangelischen Kirche eine Heimat gefunden hatte und die die DDR tolerierte, war gleichwohl mehr als jeder damals ahnen konnte von der Stasi unterwandert: Unser geplantes Treffen war also längst von sogenannten informellen Mitarbeitern weiter gemeldet worden, und keiner weiß, was letztlich bei der Realisierung der damaligen Pläne herausgekommen wäre. Wohl nichts Gefährliches, denn auch ein Vortreffen von drei Trierern fand noch zu DDR-Zeiten statt ohne dass die Stasi erkennbar eingegriffen hätte.
heute Veteranen der West-Ost-Arbeit
Aber es kam alles ganz anders: Als wir Himmelfahrt 1990 mit drei Autos über die Grenze fuhren, die die Welt zuvor in zwei Blöcke geteilt hatte, gab es diese Grenze in der zuvor für unabänderlich gehaltenen Form nicht mehr. Die Grenzkontrollen waren weg, wenn die Grenze als solche auch mehr als deutlich erkennbar war; straßenbaulich ging es nämlich über notdürftig in Stand gesetzte, jahrzehnte unbenutzte Straßen, vorbei an Grenzanlagen, Wachtürmen und Kontrollwege. Ich möchte nicht verhehlen, dass das für uns ein bewegendes Erlebnis war. Für die meisten war es nach den politischen Umwälzungen die erste direkte Erfahrung eines frei bereisbaren Deutschlands. Die ersten und letzten freie Wahlen in DDR waren gerade zwei Monate her, und die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion sollte erst sechs Wochen später in Kraft treten.
Trier-Werbung in der DDR

Dass es ein Land Sachsen-Anhalt gab oder wieder geben sollte, in das wir reisten, wäre den meisten von uns noch kurze Zeit zuvor nicht geläufig gewesen. Als Bundesland erstand es wie die anderen vier auch erst am 3. Oktober 1990 wieder bei der Einigung Deutschland durch Beitritt in die deutsche föderale Republik.
heute Veteranen der West-Ost-Arbeit
Leipzig 2002Dieses erste und auch die danach folgenden Treffen verliefen noch in großer Bemühung um inhaltlichen Austausch. Wir kamen mehrfach zu Gesprächskreisen zusammen und versuchten, uns durch Gruppengespräche näher zu kommen. Wirklich neugierig waren wir auf die Menschen, mit denen wir zusammenkamen, auf ihre Lebenswege und neu entstandenen Pläne und Hoffnungen. Und natürlich auf die schwule Szene, die man damals noch nicht so nannte. Klar, es gab Diskotheken und Bars, in die uns unsere Gastgeber führten, aber alles war fremd und ungewohnt, der DDR-Plüsch, das was heute wieder DDR-nostalgisch trendy ist, allgegenwärtig.
So freut man sich heute über ein altes Kopfsteinplaster in Niederndodeleben, das nicht beseitigt wurde, aber man fährt über neu entstandene Autobahnen, als ob es nie etwas anderes gegeben hätte. Heute machen wir keine Gesprächskreise mehr, weil der Austausch ein Austausch unter Freunden ist und abends beim Wein von Saale-Unstrut und Mosel-Saar-Ruwer ein intensiveres Gespräch möglich ist. Die Tage sind prall mit Programm gefüllt. Die Besichtigungen sorgfältig vorbereitet, die Wanderungen detailliert geplant. Einfach unglaublich, wir schnell vier Tage vergehen können.
Kopfsteinplaster
Mauritiushaus in NiederdodelebenAch ja, die Trierer Schwulengruppe ist natürlich die HuK, eine der Gruppen, die Mitglied der SCHMIT e.V. sind, denn der Kontakt vor 13 Jahren war ja im kirchlichen Umfeld grundgelegt gewesen. Die Magdeburger Gruppe war zu DDR-Zeiten bei der evangelischen Kirche zuhause, machte sich dann nach der Wende selbständig. Zwischendrin gab es mal eine HuK-Regionalgruppe Magdeburg. Heute kommen die Mitglieder eigentlich nur noch zum Treffen mit den Trierern zusammen. Zuviele sind inzwischen in den Westen oder nach Berlin abgewandert. Allerdings gibt es sehr erfolgversprechende Ansätze neuer schwuler Koordination.

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Georg Weege

Nicht alles ist schlechter geworden!
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