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Trier, lebenswerte Stadt
für junge Schwule

Philipp, 18 Jahre jung, auf dem Land groß geworden, („alles sehr katholisch, jeder kennt jeden“), erzählt von seinem Coming-out.
Es war kurz vor meinem 16. Geburtstag. Ich hatte auf einer Dorfparty jemanden kennen gelernt, der war 28 und dachte, ich sei 18. Wir hatten die Handynummern getauscht und uns SMS hin- und hergeschickt. Eines Morgens war ich in der Schule und hatte das Handy zuhause vergessen, da kam eine SMS von ihm an. „Ganz zufällig“ las die meine Mutter. Ich ahnte nichts Böses, als dann mittags meine große Schwester in mein Zimmer kam und meinte, ob ich irgendwelche Probleme hätte oder ob mich etwas bedrücken würde. Ich überlegte, was wohl mit der los sei und sagte: „Nö!“ – „Ach, “ meinte sie, „ ich hab da so eine SMS gelesen“, und verzog sich wieder. Zwei Tage später sind wir dann gemeinsam in die Stadt gegangen und irgendwann hab ich gemeint: „So, ums klar zu sagen: Ich bin schwul.“ Sie sagte drauf: „Das hab ich mir ja schon fast gedacht.“ Ich darauf: „Entweder du akzeptierst es oder nicht. Ich kann ja eh daran nichts ändern.“ Und hat gemeint, ja, sie würde das akzeptieren. Ich hatte natürlich gedacht, meine Schwester hätte die SMS gelesen. Eine Woche später komme ich mittags nach der Schule heim, meint meine Mutter: „So, jetzt setzt du dich aber mal hier hin.“ Und sie erzählte, sie habe die SMS vor meiner Schwester gelesen, aber in dem Moment nicht mit mir darüber sprechen können. Dann haben wir uns ausführlich darüber unterhalten. AIDS war ein ganz großes Thema. Ich habe ihr gesagt, dass ich genug aufgeklärt sei, um selbst entscheiden zu können, wie ich damit umgehe. Am Anfang waren diese Gespräche sehr angespannt, doch mittlerweile können wir über alles locker reden. Dann habe ich angefangen, bei der SCHMIT-Z-Family Theater zu spielen. Und irgendwann im Streit habe ich zu meiner Mutter gesagt: „Wenn du dich wirklich für mein Leben interessierst, dann kommst du jetzt dahin.“ Und ich hab ihr zwei Theaterkarten hingeknallt. Sie ist auch wirklich da gewesen und seitdem akzeptiert sie’s halt. Das ganze ist jetzt zwei Jahre her und heute geht sie ganz locker damit um. Einen Freund habe ich auch schon mit nach Hause gebracht. Mit dem kam sie gut klar. Auch mit den Nachbarn macht sie sich keinen Stress.
Und dein Vater?
Dem habe ich das erst letztes Jahr zu meinem 17. Geburtstag erzählt. Auch wieder in so einem Streitgespräch. Er hat mich gefragt: „Und? Bist du schwul?“ Ich hab nur gemeint: „Und? Hast du ein Problem damit?“ Zwei Tage später kam er dann und meinte, ob das wirklich ernst gemeint war. Und ich: „O ja, das hab ich durchaus ernst gemeint.“ Da war es eben klar. Mit ihm habe ich seitdem kein Wort mehr über mein Schwulsein geredet.
Und in der Schule – ist da auch etwas gelaufen?
In meiner alten Schule, das war eine Realschule, haben die meisten was geahnt, ich hab aber nie großartig was preisgegeben. Wenn mich jemand gefragt hatte, habe ich es ihm gesagt, aber ich habe es nie an die große Glocke gehängt. Jetzt auf der Berufschule war es so: Ich habe auf Gayromeo ein Profil. Und da gibt es einen Jungen, dessen Freundin bei mir in der Klasse sitzt. Ich hatte mal da stehen „Auszubildender für Mediengestaltung“. Er hat sie dann gefragt, ob sie mich kennen würde und so ist das dann in der Klasse bekannt geworden. Die meisten gehen damit normal um. Da gibt es keine Probleme. Hin und wieder so ein typischer Hetenspruch, aber damit muss man halt umgehen.
Wie ist eigentlich deine Beobachtung über das Coming-out-Alter? Mit 16, das ist doch immer noch extrem früh, oder?
Also ich muss sagen, ich dachte damals, dass ich so einer von den Jüngsten bin. Inzwischen habe ich in der Szene schon welche mit Ende 15, Anfang 16 gesehen. So langsam steigert sich Trier.
Worüber bist du zum ersten Mal mit dem Thema Schwule und Lesben in Kontakt gekommen?
So genau weiß ich das gar nicht. Was ich weiß ist, dass ich mir damals immer heimlich die Aufnahmen vom CSD in Köln angeguckt habe. Da dachte ich mir immer „Vielleicht bis du auch so, vielleicht nicht…!“
Hat dich das denn nicht eher abgeschreckt? Die Kameras halten ja doch bevorzugt auf nacktes Fleisch und Super-Dragqueens.
Von Fetischen und Leidenschaften sich in Fummel zu werfen hatte ich ja damals noch keine Ahnung, geschweige denn gewusst, dass es so was überhaupt gibt und dachte, das ist so eine Art Karneval. Ich fand das einfach nur interessant und anziehend. Abgeschreckt hat mich das nicht.
Als ich dann später Internet bekam, da standen mir ja alle Informationswege offen.
Soaps mit schwulen oder lesbischen Paaren haben für dich keine Rolle gespielt?
(Zögert) Doch. Die Soaps musste ich mir immer mit meiner großen Schwester zusammen ansehen. Da war dann auch immer ein Schwulenpärchen dabei. Aber wirklich intensiv habe ich das nicht wahrgenommen. So lange und quälend ging das ja auch gar nicht vom ersten Verdacht bis zum Coming-out. Ich denke so mit 14 werde ich was geahnt haben. Das Outing war ja auch gar nicht geplant. Aber es war gut so und ich bin froh, dass es so gekommen ist.
Man hört und liest heute oft, dass Jungs heute viel mehr Identifikationsprobleme haben als die Mädchen. Was machst du da für Beobachtungen?
Ich kenne ziemlich viele, die überhaupt nicht wissen, was sie mit ihrer Zukunft machen sollen. Die blubbern so vor sich hin. Die Mädchen wissen schon ziemlich bald, was sie werden wollen oder wo sie mal hinziehen wollen. Ich wusste auch mit 14 noch überhaupt nicht, was ich will. Ich hab mir verschiedene Berufe angesehen, konnte mich aber für nichts entscheiden und habe dann erst einmal beschlossen, weiter zur Schule zu gehen, um Zeit zu gewinnen.
Apropos Schule. Hast du da mal irgendetwas im Unterricht über Homosexualität gehört?
Ja, aber nur ganz kurz. Mann liebt Mann, Frau liebt Frau. Und AIDS. Das war’s. Da habe ich keinerlei Hilfe für mich her bekommen. Über die Ansteckungswege für AIDS wurde ich so unterrichtet, dass ich glaubte, man bekäme AIDS, wenn man ohne Kondome Verkehr hat, also auch wenn gar keiner AIDS hat. Dass das Blödsinn ist, hab ich erst in der Szene erfahren. Und da hab ich gedacht, schön, was man so alles in der Schule lernt.
Wie gehst du heute mit der Ansteckungsgefahr um?
Ich kenne persönlich niemanden, der AIDS hat. Aber das ist für mich kein Grund, unvorsichtig zu sein. Ich finde es Scheiße, wenn die Leute ohne Gummi rumpoppen.
Wie geht denn deine Geschichte mit der SCHMIT-Z-Family?
Rangekommen bin ich über einen Bekannten, der Theaterkarten hatte und mich mitgenommen hat. Das war im Sommer 2004 auf der Landesgartenschau. „Trouble in Eschnapur“ hieße das Stück. Ich hab mir das angeguckt und war hin und weg. Ich hatte früher in der Schule schon mal Theater gespielt, aber das war nicht sehr professionell. Nach der Aufführung habe ich mit Edgar (SCHMIT-Z Vorstand) gesprochen, den ich bereits von CSD her kannte, und ihn gefragt, ob ich da eventuell mal mitspielen könnte. Er meinte: „Ja, wir spielen zu Weihnachten ein Stück, das wir früher schon mal auf dem Programm hatten. Kannst ja mal vorbeikommen.“ Dann bin ich zur ersten Besprechung hingegangen und Klaas (schreibt die Stücke für die SCHMIT-Z-Family) hat gemeint: „Du spielst eine lesbische Nonne und eine Zwergtranse.“ Ich hab mir das angeguckt und beschlossen, es einfach mal zu versuchen. Die Ideen, die Proben, der ziemlich professionelle Ablauf haben mich sehr beeindruckt. Seitdem mache ich regelmäßig mit.
Hast du dir überhaupt noch mal die Frage gestellt, ob du dieses doch sehr öffentliche Coming-out überhaupt willst?
Als meine Mutter da war, und ich mich mit Perücke und Kleid präsentiert habe, kamen mir Zweifel. Meine Mutter hat aber nur gemeint: „Du wärst ja so ein schönes Mädchen geworden.“
Ich habe ja dann auch bei den anderen Stücken mitgemacht und keinerlei Probleme mehr darin gesehen. Nach und nach sind aber immer mehr Leute, die ich gekannt habe - zum Teil aus meinem Dorf -, in den Aufführungen gewesen. Deren Töchter und Söhne haben mich dann hinterher angesprochen: „Sag mal, meine Eltern sind ja ganz hin und weg gewesen, wie toll du geschauspielert hast.“ Und ich: „O nein, nicht schon wieder!“ Aber das geht schon in Ordnung.
Wie und wo siehst du deine Zukunft?
Ich hoffe, im nächsten Jahr in Trier eine Lehre als Reiseverkehrskaufmann anfangen zu können und einen Job zu bekommen. Ich finde, Trier ist trotz seiner Kleinheit, obwohl jeder jeden kennt, viel schöner als so große Städte wie Köln oder Düsseldorf, wo alles weitgehend anonym ist. Dagegen finde ich Trier doch viel angenehmer. Und beziehungsmäßig schau ich mal, was die nächsten Jahre so bringen. Ich lebe erst einmal mein Leben. Der Partner fürs Leben ist noch nicht so ein Thema für mich. Ich bin erst 18. Den brauch ich jetzt so schnell noch nicht. In einigen Jahren, warum nicht? Aber jetzt schau ich erst einmal, was so kommt.
Die Fragen stellte Georg Weege.Das Interview fand am 1. Januar 2006 im SCHMIT-Z statt.
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