Ratzinger contra Lesben und Schwule. SCHMIT e.V. contra Ratzinger

Anfang August 2003 sorgte ein von

Joseph Ratzinger,

Präfekt der Glaubenskongregation, unterzeichnetes Papier, das bereits im März dieses Jahres von Johannes Paul II approbiert (zugelassen) worden ist, für einige Aufregung in der deutschen und internationalen Presse.
Die «Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen», so der Titel, richten sich

gegen die rechtliche Absicherung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften.

Wir haben den Originaltext hier zum Selber-Nachlesen bereitgestellt.

Eine gerechte Diskriminierung?

Das Papier beansprucht, keine neuen Lehraussagen zu enthalten. Diese Bemerkung gleich in der Einleitung lässt aufhorchen und verrät schon durch den apologetischen (= sich verteidigenden) Beiklang, dass sich die Kongregation angesichts dieses Aneinanderhängens älterer Dokumententeile ihrer Sache nur bedingt sicher war (sonst hätte man ihn weglassen können). Überblickt man nun die Anmerkungen am Ende des Textes, so stellt man fest, dass auch aus römischen Dokumenten geschöpft wurde, die sich gegen eine Einführung von Antidiskriminierungsgesetzen aussprechen.
Dieser eigentliche Tenor des Papiers taucht unverhohlen im Schlusskapitel (11) auf, wenn die rechtliche Anerkennung der homosexuellen Lebensgemeinschaften genauso wie die Billigung homosexuellen Verhaltens ausgeschlossen wird.
Die Schlussfolgerung daraus, ebenso gegen Gesetze vorzugehen, die die Billigung homosexuellen Verhaltens überhaupt vorsehen, wird nicht ausgesprochen, doch sie liegt, wenn man sich erlaubt, die Erwägungen zu Ende zu denken, auf der Hand.
Immerhin formuliert das Papier an einer Stelle (5), «Das Gewissen fordert in jedem Fall, Zeugnis abzulegen für die ganze sittliche Wahrheit, der sowohl die Billigung wie auch die ungerechte Diskriminierung homosexueller Menschen widerspricht.»
Diese anscheinende Abmilderung bedeutet im Umkehrschluss jedoch, dass auf der anderen Seite eine «gerechte Diskriminierung» unter Berufung auf das Gewissen gefordert wird und liegt damit ganz auf der Linie des Schlusskapitels.

Was kommt zuerst: Geordnete Fortplanzung oder personale Liebe?

Die theologische Begründung ist äußerst dünn ausgefallen. Der schöpfungstheologische Ansatz ist in dieser Hinsicht biologistisch-materialistisch reduziert auf das Paarungsverhalten, obwohl der biblische Kontext der einer personalen Bundestheologie ist. Bereits das 2. Vatikanische Konzil (1962-65) hat diese Fehlsicht erkannt, und das Corpus Iuris Canonici (das kirchliche Gesetzbuch) ist dem gefolgt und hat dieses personale Eheverständnis als «Bund» wieder als Leitvorstellung aufgenommen. «Dass es eine Ehe nur zwischen zwei Personen verschiedenen Geschlechts gibt» kann aus dem Schöpfungsbericht nicht abgeleitet werden. Die polygamen (Polygamie = Vielehe) Lebensgemeinschaften gerade der biblischen Patriarchen (Urväter Abraham, Isaak, Jakob und dessen zwölf Söhne) zeigen, wie weit die Praxis von einem solchen (anachronistischen) Anspruch entfernt ist. Dieser Anspruch ist jedoch nur in Konsequenz eines entwickelteren personalen Verständnisses von einem Ehebund möglich, doch dieses konkurriert mit einem (entpersonalisierten) materialistischen Zeugungsverständnis. Der Absatz zur Ehe als Sakrament ist vollends theologisch-exegetisch unhaltbar, die Knappheit dieses eigentlich zentralen Punktes zeigt die Dürftigkeit und Unsicherheit im Umgang mit dem biblischen Fundament.
So artet die Blütenlese der Paulustexte gegen «homosexuelle Beziehungen» (4) zu einer verfälschenden Darstellung aus:
Die genannten Worte des Apostels richten sich nicht gegen konstitutiv homosexuelle Menschen (solche, die es eben sind und sich nicht irgendwie dazu entschlossen haben). Paulus verbindet in der Tradition des Alten Testaments den Abfall zu heidnischen Kulten mit homosexuellen Praktiken (es ist nirgends die Rede von Beziehungen!). An anderer Stelle ist die Rede von «Knabenliebe», die zum Initiationsritus junger Erwachsener in der traditionellen griechisch-hellenistischen (= heidnische) Gesellschaft gehörte, somit also nicht in der Sphäre einer «Liebesbeziehung» sondern als Teil der öffentlichen «Mannwerdung» nach festen Regeln ohne konstitutiv homosexuelle Voraussetzung praktiziert wurde.
Überhaupt: Es fällt auf, das in keinem Satz dieses Papiers, das Wort «Liebe» als personale Hingabe zweier Menschen zueinander (ohne Unterscheidung des Geschlechts) die Rede ist. Dies verwundert angesichts des schiefen Eheverständnisses nicht. Wenn auch an einer Stelle als äußeres Zugeständnis an das 2. Vatikanische Konzil die Rede von personaler Hingabe ist, so taucht das Wort Liebe als das zentrale Moment der Begegnung zwischen Mann und Frau (aber auch zwischen Gott und den Menschen) in diesem bedenklichen Dokument nicht auf.
Aus einer solchermaßen theologisch verkürzten Sicht gibt es in der Tat «keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familien Analogien herzustellen». (4)
Diese Beispiele zeigen, wie vielschichtig dieses brisante Papier ist:
Vordergründig richtet es sich gegen die rechtliche Absicherung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, dann aber auch generell gegen jede rechtliche Form der Tolerierung homosexuellen Verhaltens (z.B. Antidiskriminierungsgesetze).
Diese Gefahr für den sozialen Frieden wird noch weiter verschärft, indem dieses Dokument auch einen frontaler Angriff auf das seit dem 2. Vatikanischen Konzil geltende Eheverständnis als personaler Lebensgemeinschaft nach dem Bilde der Bundestheologie des Alten Testamentes darstellt. Hier wird wieder die vorkonziliare Fortpflanzungs- und Zeugungsgemeinschaft propagiert – Was unterscheidet eine solche materialistisch-biologistische Vorstellung von einer Kopulationsgemeinschaft von Schweinen oder Kühen?

Wieviel Familie braucht ein Kind? Wer ist Familie? Was fördert die menschliche Entwicklung?

Die Dimensionen menschlicher Gemeinschaft gehen sicher weiter als die bloß sexuelle Dimension. Eine Ehe zwischen Mann und Frau besteht auch dann, wenn keine Kinder geboren werden bzw. nicht mehr geboren werden können oder auch, wenn kein ehelicher Verkehr mehr stattfindet.
Was ist mit älteren Menschen, die nach den sogenannten «Wechseljahren» heiraten möchten? Müsste gegen solche Ehen im Sinne des Papiers nicht genauso heftig vorgegangen werden? Was ist mit den wiederverheirateten Geschiedenen? Überhaupt: Was ist mit den Menschen deren Ehe, deren personale Gemeinschaft zerbrochen ist?
Das ist eine Realität, an der die Grenzen dieses verkürzten Eheverständnisses sichtbar werden, aber auch der Unterschied zwischen Ehe und Familie deutlich wird: Eine Ehe kann zur Familie mit Kindern führen, muss es aber nicht. Und nicht jede Familie aus Erwachsenen und Kindern entsteht aus einer Ehe. Ganz bewusst hat das römische Papier all das ausgeblendet, weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Die Realität alleinerziehender Väter und Mütter besteht, sei es, weil sie nie verheiratet waren oder geschieden sind, ebenso wie die der vielen Familien ohne Trauschein.
Und dann auch die große Anzahl von Schwulen und Lesben mit leiblichen Kindern. Ist deren Lebensgemeinschaft keine Familie? Haben all diese Kinder als Zukunftsträger unserer Gesellschaft keinen Anspruch auf den Schutz und die Förderung ihres Lebensumfeldes wie die anderen Kinder? Dass die Adoption von Kindern durch homosexuelle Menschen als «faktisch eine Vergewaltigung» polemisiert wird, wird auch nicht durch den Nachsatz abgemildert:
«...in dem Sinn, dass man ihren Zustand der Bedürftigkeit ausnützt, um sie in ein Umfeld einzuführen, das ihrer vollen menschlichen Entwicklung nicht förderlich ist.»
Zum einen sollte eine Amtskirche, deren Amtsträger bis in die höchsten Ränge gerade in den vergangenen Jahren wiederholt Schlagzeilen gemacht haben, durch sexuellen Missbrauch Abhängiger (hetero- wie homosexuell, sowie pädophile Übergriffe), angesichts dieses Balkens im eigenen Auge mehr Buße und Schuldbewusstsein zeigen und sich nicht zu solchen gehässigen Äußerungen hinreißen lassen.
Zum anderen hieße dies in letzter Konsequenz auch, dass zölibatären Männern und Frauen (Ordensleuten, Priestern) die Erziehung von Kindern untersagt werden müsste, denn diese können ihnen ja auch nicht ein (familiäres) Umfeld bieten, das einer vollen menschlichen Entwicklung im Sinne des Papiers förderlich ist.
So weit möchten wir natürlich nicht gehen, denn die meisten dieser «Arbeiter und Arbeiterinnen im Weinberg des Herrn» leisten gute und unverzichtbare Arbeit auch für unsere Gesellschaft.
Ganz und gar verliert das römische Papier seine moralische Glaubwürdigkeit bei der Frage, wie weit denn der Schutz der Familie geht.
Menschen, die sich zu anderen ihres Geschlechtes hingezogen fühlen, eine dauerhafte Lebensgemeinschaft in personaler Hingabe und Liebe zueinander gründen wollen, stehen in unserer Gesellschaft nicht für sich isoliert. Sie haben selbst eine «natürliche» Familie. Sie haben Vater und Mutter, Brüder und Schwestern, Großeltern, Tanten und Onkel. Und unter diesen Schutz der Familie fallen alle Menschen der Gesellschaft. Wir, Schwule und Lesben, appellieren aus dieser «natürlichen» Solidargemeinschaft, nach den Worten des Apostels Paulus:
Darum darf es nicht zu einer Spaltung im Leibe kommen, sondern alle Glieder sollen gleicher Weise füreinander Sorge tragen. Leidet ein Glied, so leiden alle Glieder mit; und kommt ein Glied zu Ehren, so freuen sich alle Glieder. (1. Brief des Apostel Paulus an die Korinther Kapital 12, Verse 25-26)
Welcher Vater und welche Mutter, welche Großeltern, die die Erfahrung gemacht haben oder machen werden, dass eines ihrer Kinder nicht zu der Mehrheit der «Normalen» gehört, würden sich nicht freuen, wenn es in ihrem Staat eine Gesetzgebung gibt, die es diesem Kind zumindest den äußeren Rahmen bietet, nicht weniger glücklich als seine Geschwister zu leben? Nehmen sie etwa ihren verheirateten Geschwistern etwas weg, wenn auch ihre Lebensgemeinschaften unter den Schutz des Staates gestellt werden? Wenn keine Razzien mehr auf Schwule und Lesben gemacht werden dürfen? Wenn ihre sexuellen Handlungen nicht mehr mit Haftstrafen verfolgt werden? Wenn ihre Arbeitsstelle durch Antidiskriminierungsgesetze geschützt ist? Ist es nicht mehr im Sinne des Gemeinwohls und sozialen Friedens, wenn eine Familie weiß, dass ihre Kinder in eine Zukunft blicken können, die ihnen und ihren späteren Lebenspartnern ein beschütztes Leben in Fülle ermöglicht, egal wie nun ihre Veranlagung ist? Denn das Böse, das Schwulen und Lesben angeblich unter Berufung auf das Gemeinwohl zugefügt wird, wird letztlich auch ihren Familien angetan...
Ist eine solche Solidargemeinschaft über die Grenzen der sexuellen Veranlagung hinweg nicht näher an der Wahrheit und Gerechtigkeit, wie es die christliche Botschaft, der sich ja auch unsere Gesellschaft und das Grundgesetz verpflichtet weiß, verkündet?
Es wird immer eine gewisse Anzahl von Menschen in unserer Gesellschaft geben, die - aus welchen Gründen auch immer - eben nicht zu einem Leben in einer gemischtgeschlechtlichen Ehe berufen sind. Ihnen mit Anstand und Respekt zu begegnen ist gefordert, damit wir kein Leid aufkommen lassen, das „Mitleid“ erforderte (4).

Die Konsequenzen

Nicht immer ist die bloße Addition von vielen kleinen Wahrheiten am Ende eine große Wahrheit. Doch selbst die Voraussetzung der vielen kleinen Wahrheiten wird in diesem bedenklichen Dokument nicht erfüllt. In der Tat enthält es auch in der Summe keine neue Lehraussage. Das praktisch pastorale Scheitern dieses mäßig schriftgelehrten Schreibens wird in der Konsequenz deutlich: Statt konkrete Überzeugungsarbeit zu leisten, werden katholische Verantwortungsträger in Staat und Gesellschaft unter Hinweis auf die „Wahrheit“ und „Gemeinwohl“ zu Einspruch und Widerstand bei der Gesetzgebung angehalten. Die Unterstützung einer rechtlichen Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften aber wird als „schwerwiegend unsittliche Handlung“ diffamiert (10). Sogar an die Aufhebung bereits bestehender, nach den Mitteln des demokratischen Rechtsstaates zustande gekommener Gesetze, wird appelliert.
Unter Berufung auf das Gemeinwohl, den besonderen Schutz von Ehe und Familie - das soll dieser Beitrag gegen das römische Papier zeigen - kann eben auch genau das Gegenteil gefordert werden, nämlich den Schutz aller personaler Lebensgemeinschaften zwischen zwei Menschen und aller Gemeinschaften (Familien im weiteren Sinne), die Kinder erziehen.
Die Reduzierung von Familie auf Ehe mit Kindern zeugt von einer Engherzigkeit, der es keineswegs um das vordergründig behauptete Wohl der Kinder geht.
Die gleiche Engherzigkeit bezeugt auch die biologistische Reduzierung der Ehe auf die Zeugungsfähigkeit, was weit hinter dem liegt, was Liebe und Fürsorge einer personalen Lebensgemeinschaft aber auch die Bundesvorstellung des christlichen Gottes- und Ehebildes ausmacht.
Insofern das Dokument von sich aus auf das Gewissen verweist, als der letztlich gegenüber Gott und der Welt maßgeblichen Entscheidungsinstanz, wird es im Sinne der Freiheit eines Christenmenschen nicht schwer sein, diesem Dokument aus eben diesen Gründen zu widersprechen. Es ist zudem ein Hohn gegenüber unseren evangelischen Christen. So hat sich die Evangelische Landeskirche der Rheinlande für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare nach einem langen Prozess theologischer Prüfung und Diskussion entschieden. Sie steht damit innerhalb der EKD nicht allein. Dies zeigt, wie wenig unter Rückgriff auf Bibel oder «Naturrecht» homosexuelle Menschen zurückgesetzt werden dürfen.
Wir ermutigen daher, aus ganzem Herzen, aus vollstem Gewissen und mit der Sicherheit im Glauben Jesu Christi als katholische Christen und Christinnen, als Menschen aus anderen Kirchen, als Menschen des öffentlichen Lebens gegen dieses Schreiben der römischen Glaubenskongregation Position zu beziehen: ob Schwule oder Lesben, ob Bisexuelle oder Heterosexuelle.
Der Verfasser dieses Kommentars heißt Robert Loscheider und ist seit vielen Jahren Mitglied der ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche, Regionalgruppe Trier. Er hat Theologie und Geschichte studiert und lebt in Leiwen an der Mosel.
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